Getrennte Wege in der NATO-Frage

Swedish and Finnish flag flying in front of Ikea Raisio, Finland/ Wikimedia: Kotivalo

Schweden und Finnland wollen seit einem Jahr in die NATO. Die Türkei blockiert. Was ist da los?

Von Danijela Jelen

Seit Ausbruch des Ukrainekrieges wollen Schweden und Finnland in die NATO. Finnland hat eine über 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland. Schweden und Russland verbindet quasi die Ostsee. Im Mai 2022 stellten beide Länder wegen sicherheitspolitischer Sorgen den Beitrittsantrag. So gut wie alle Parteien stimmten für den Antrag.

Ein Beitritt würde für beide Länder einen historischen Kurswechsel bedeuten. Schweden ist seit über 200 Jahren militärisch neutral, Finnland seit Ende des 2. Weltkriegs. Dennoch sind beide Länder enge Partner der NATO.

Die Beitritte waren ursprünglich schon für letztes, dann für dieses Jahr geplant und sollten in verschnellerten Verfahren ablaufen. Im Januar dann der Skandal: eine erhängte Erdogan-Puppe vor dem Rathaus und die Koranverbrennung nahe der türkischen Botschaft in Stockholm.

Hinter der kopfüber aufgehängten Puppe steckt eine schwedische Organisation, die sich selbst als „Netzwerk für Solidarität und Austausch mit der revolutionären Bewegung in Kurdistan“ sieht. Die Verantwortlichen für die Koranverbrennung haben gute Verbindungen nach Russland. Ganz vorn dabei: Chang Frick, einer der bekanntesten schwedischen Rechtspopulisten. Er habe einfach eine Demonstration veranstalten wollen. Als Journalist brauchte er aber Aktivisten, die für ihn demonstrieren. Da kam Rasmus Paludan ins Spiel, ein dänisch-schwedischer rechtsextremer Politiker und Anwalt mit langjähriger Erfahrung als Koranzündler. 2020 bekam er deshalb sogar ein zweijähriges Einreiseverbot nach Schweden. Dagegen klagte er und pochte darauf, dass er schwedischer Staatsbürger sei. Schweden bestätigte das und zog das Einreiseverbot zurück. Seitdem zieht er immer wieder durchs ganze Land, um Koranausgaben zu verbrennen und Muslime aufzuhetzen. Frick selbst beteuert, er habe eine Koranverbrennung nie im Sinn gehabt. Er soll davon gar nichts gewusst haben und habe bloß 320 SEK Anmeldegebühr für die Demo gezahlt. Auch Paludan redet sich raus. Er behauptet, ein paar Schweden hätten ihn dazu gebracht, den Koran vor der Botschaft zu verbrennen.

Die Türkei reagierte hochempört und kappte die NATO-Gespräche sofort. Die beiden Aktionen waren dabei nur das Zünglein an der Waage. Das Querstellen Erdoğans gegen die NATO-Mitgliedschaft Schwedens (und Finnlands) geht noch weiter zurück. Vor allem Schweden wirft er schon länger vor, Terroristen zu beherbergen und damit die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu unterstützen. Die Organisation wird von der EU als terroristisch eingestuft und hat schon mehrfach nicht-militärische Ziele angegriffen und Zivilisten in der Türkei getötet. Schweden und Finnland weisen die Anschuldigungen zurück, gehen aber in gewissem Maße auf die Türkei zu. Letztes Jahr unterschrieben alle drei Länder ein Memorandum, mit dem sie sich verpflichten, Aktivitäten der PKK und anderer terroristischer Vereinigungen, sowie Aktivitäten von zugehörigen Einzelpersonen, Gruppen und Netzwerken zu verhindern. Außerdem wird das schwedische Parlament über ein neues Anti-Terror-Gesetz abstimmen, versprach der Türkei geheimdienstliche Hilfe in Sachen Terrorabwehr und liefert Waffen an die Türkei.

Man habe alles getan, was man von einer liberalen Demokratie und einem Rechtsstaat verlangen könne, sagt der ehemalige schwedische Botschafter Michael Sahlin. Aus Erdoğans Sicht hat Schweden die vereinbarten Hausaufgaben nicht richtig erledigt. Zwar hat die Türkei die auf Eis gelegten Gespräche inzwischen wiederaufgenommen. Mit einem Beitritt Schwedens wird aber erst einmal nicht gerechnet, zumal im Mai die türkischen Parlamentswahlen geplant sind und Erdogans Anti-Haltung ihm im Wahlkampf helfen könnte.

Und wie geht es mit Finnland weiter?

Eigentlich wollten Finnland und Schweden der NATO nur gemeinsam beitreten. So sollte keines der beiden Länder in einem sicherheitspolitischen Vakuum enden. Schweden wird genau das jetzt aber passieren. Finnland wird der NATO im Alleingang beitreten. Das Land habe sich authentisch darum bemüht, die Anforderungen der Türkei zu erfüllen, so Erdoğan. Er wird einem finnischen Beitritt zustimmen. Ungarn wird Ende März darüber abstimmen.

Was sagt die Bevölkerung?

Die Stimmung in Finnland ist sehr eindeutig für einen Beitritt. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine war nur ein Viertel der finnischen Bevölkerung für einen NATO-Beitritt. Jetzt sehen die Finnen, dass der Westen die Ukraine zwar unterstützt, aber nicht direkt eingreift und fragen sich, inwiefern sie Hilfe bekämen, sollte Russland Finnland angreifen.

Die Frage nach einer NATO-Mitgliedschaft wird in Schweden dagegen heißer diskutiert, war das Land doch immer Vorreiter in puncto Friedenspolitik und Abrüstung. Ein Teil der Gesellschaft tut sich also schwer damit, die Bündnisfreiheit aufzugeben. Und wo Paludan ankündigte, ab jetzt jeden Freitag Exemplare des Korans zu verbrennen, könnte ein Beitritt sich ohnehin noch lange hinziehen.