Es wird eng für Kielsen - Wachsende Kritik an Grönlands Regierungschef

Grönlands Premier Minister Kim Kielsen
Grönlands Premier Minister Kim Kielsen. Foto: arctic_circle / https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Seit 2014 wird Grönland von Kim Kielsen regiert. Mittlerweile mit seiner sechsten Koalition, der vierten seit 2018. Doch die Kritik von Opposition und eigener Partei wird immer größer. Jetzt wurde öffentlich sein Rücktritt gefordert. Wie kam es dazu und welche Kraft hat diese Forderung in Grönland?

Grönlands Politik ist schnelllebig und direkt. Was auch immer auf der nordischen Insel passiert, Kenneth Wehr ist informiert und erklärt Zusammenhänge und Hintergründe des politischen Geschehens.

Von Kenneth Wehr

„Træd tilbage!“ So direkt war es noch nie. „Tritt zurück!“

Man könnte meinen, jetzt wird es ernst für Kim Kielsen. Grönlands Regierungschef weht ein kühles Lüftchen entgegen, mindestens. Aber eigentlich war das schon immer so. In Grönland weiß die Opposition noch, dass sie zum Opponieren da ist. Und wenn ihr etwas nicht gefällt, dann sagt sie das. Sie hat es häufig gesagt.

 

Ein schwieriger Start

Grönland ist wahrlich kein Paradebeispiel für politische Stabilität. Kim Kielsen hat Ende Mai die vierte Koalition seit der letzten Wahl 2018 vorgestellt. Damals hatte Kim Kielsen seine sozialdemokratische Siumut knapp vor der linken Inuit Ataqatigiit zum Wahlsieg geführt. Weil sowohl die Inuit Ataqatigiit als auch die liberalen Demokraatit, die die drittmeisten Stimmen erhalten hatten, eine Koalition abgelehnt hatten, blieb der Siumut nichts anderes als eine Regenbogenkoalition. Im Mai 2018 wurde folglich erstmals in Grönland ein Koalitionsvertrag zwischen vier Parteien geschlossen, die vielleicht unterschiedlicher nicht sein könnten: Der sozialdemokratischen Siumut, der populistisch-separatistischen Partii Naleraq, der antiseparatistischen Atassut und der separatistischen Zwei-Mann-Partei Nunatta Qitornai.

Fünf Monate hielt die Regierung. Als Kim Kielsen einen millionenschweren Kredit für das prestigeträchtige Flughafenprojekt von Dänemarks damaligen Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen entgegennahm, kündigte die Partii Naleraq die Regierung unter dem Vorwurf auf, Grönland begebe sich mit der finanziellen Abhängigkeit weiter in die Position der dänischen Kolonie. Die zwei internationalen Flughäfen in Nuuk und Ilulissat und der Regionalflughafen in Qaqortoq lassen sich jedoch mit dem klammen Geldbeutel des fischerei- und dänemarkabhängigen – Grönland nicht bezahlen. Man wundert sich schon etwas. Hatten die Koalitionspartner bei der Entscheidung kein Mitspracherecht?

 

Die schützende Hand der Demokraatit

Dieselbe Frage werden sich die Demokraatit gestellt haben. Kim Kielsen brauchte schleunigst eine neue Koalition, sonst hätte es eine Neuwahl gegeben. Die Inuit Ataqatigiit ließ die Gespräche erneut platzen. Die Demokraatit als Kims letzte Rettung willigten im Oktober 2018 zu einer Minderheitenregierung ein. Im Nachhinein ein kluger Schachzug. So wurde deutlich, dass die Unterstützung jederzeit weg sein kann, wenn man sich nicht einig ist. Bei der Opposition kam das nicht gut an. Sie ist zum Opponieren da und wenn ihr etwas nicht gefällt, dann sagt sie das. Nur zwei Wochen später wurde Ernst gemacht. Doris J. Jensen, Naalakkersuisoq (Ministerin) für Gesundheit, Soziales und Justiz, musste ihren Hut nehmen, nachdem die Opposition und die Demokraatit ihr das Vertrauen entzogen hatten. Ihre Tankkarte war von einem Haushaltsmitglied benutzt worden. Der Missbrauch an Steuergeldern: Umgerechnet gut 900 €. Ein Witz, wenn man an die Maut und den BER denkt.

Im April 2019 trat die Atassut aus der Regierung aus. Sie war mit dem Regierungsstil nicht zufrieden. Den Aussagen des Vizeparteivorsitzenden Qulutannguaq Berthelsen war zu entnehmen: Mit Kim Kielsen zu regieren, heißt, Kim Kielsen zu folgen. Ein paar Stunden vorher war der Naalakkersuisoq für Arbeit und Energie, Aqqalu Jerimiassen, heute mit seinen 34 Jahren der drittjüngste von sieben amtierenden Parteivorsitzenden, vom Parlament gefeuert worden, nachdem er den menschlichen Einfluss aufs Klima abgestritten hatte. Auch Nikkulaat Jeremiassen, Naalakkersuisoq für Fischerei, Jagd und Landwirtschaft war am selben Tag mit den Stimmen der Demokraatit aus der Regierung geworfen worden. Er hatte widersprüchliche Aussagen zur Nachhaltigkeitssituation der Fischerei gemacht. Er war das zweite Regierungsmitglied der Siumut, das die Stützpartei gefällt hatte.

 

Kritik aus den eigenen Reihen

Viele werfen Kim Kielsen einen autokratischen Führungsstil vor. Das Wort „Diktator“ ist gefallen. Es sind Übertreibungen, wenn man sich anschaut, wer sonst so auf dem Planeten regiert. Aber nicht nur die Opposition sagt, wenn ihr etwas nicht gefällt. Der Machtkampf innerhalb der Siumut ist offensichtlich. Die Partei ist zerstritten. Bei der letzten Wahl zum Parteivorsitz hatte Kim Kielsen seinen Konkurrenten Vittus Qujaukitsoq besiegt, der daraufhin austrat, die Nunatta Qitornai gründete und seither treu ergeben als Finanzminister seinem früheren Parteigegner folgt. Die nächste Wahl ist längst geplant. Eigentlich hätte sie auch schon stattfinden sollen. Die Liste der parteiinternen Kritiker ist lang. Parlamentspräsidentin Vivian Motzfeldt, Erik Jensen und Karl-Kristian Kruse hatten ihre Kandidatur angekündigt, letzterer hat sie mittlerweile wieder zurückgezogen. Erik Jensen trat im November 2019 von seinem Posten als Naalakkersuisoq für Rohstoffe und Arbeitsmarkt zurück. Er konnte nicht länger unter jemandem regieren, mit dessen Führungsstil er so uneins war.

 

Der grönländische Erfolg bei Corona

Im Juli 2020 sollte die Wahl zum Parteivorsitz stattfinden. Dann kam Corona. Schon ab Januar war das Thema wie überall sonst auf der Welt seitenfüllend in den Medien zu lesen. Grönland, das nur über Flugverbindungen nach Dänemark und Island verfügt, konnte sich vergleichsweise lange vor der Einschleppung des Virus bewahren, bis am 16. März erstmals ein Infektionsfall bei einem Einreisenden gemeldet wurde. Einen Tag später wurde der In- und Auslandsverkehr – Flugzeug, Helikopter, Schiff – komplett eingestellt. In einem Land ohne Straßen bedeutete das, dass eine Reise innerhalb Grönlands quasi unmöglich wurde. Die Hauptstadt Nuuk wurde vollständig isoliert, Schulen geschlossen. Dem professionellen und rigiden Handeln der Regierung in Kooperation mit Landesarzt Henrik L. Hansen war es zu verdanken, dass Grönland ab dem 8. April für einige Zeit das einzige Land der Welt ohne aktiven Infektionsfall war. Auch wenn danach noch zweimal neue Fälle gemeldet wurden, gab es bis heute nur 14 Coronafälle in Grönland.

Corona hat zu einem Umdenken geführt. Auch bei den Demokraatit, die Ende Mai beschlossen, doch Teil der Regierung zu werden. Böse Zungen behaupten, sie hätten bemerkt, dass ihr Handdrunterhalten unter Kim ihre Beliebtheitswerte nicht gerade gesteigert hätte. Angesichts einer drohenden Wahlniederlage wäre es jetzt eh egal, da möchte man wenigstens noch etwas mitreden. Oder sich den Erfolg im Umgang mit Corona auch auf die eigene Fahne schreiben dürfen.

 

Sind die Maßnahmen noch gerechtfertigt?

Zeitgleich bekam Kim Kielsen wieder Gegenwind. Er hatte mit dafür gestimmt, die Fangquote für Steinbeißer zu erhöhen. Und währenddessen sein Boot an einen Bekannten vermietet, der damit Steinbeißer fing. Obendrein war sein Boot nicht mal zugelassen. Wegen der Quotenerhöhung ist mittlerweile die MSC-Fischereilizenz in Grönland in Gefahr. Der Opposition gefällt das nicht. Sie spricht von Amtsmissbrauch. Kim Kielsen regiere nur für sich selbst. Der Fall wird untersucht.

Corona bleibt und die Sorge auch. Jüngst zeigt das Wiederaufflammen auf den Färöern nach langer Zeit ohne aktiven Fall gut, dass man sich kaum in Sicherheit wiegen kann. Der Verkehr ist wieder aufgenommen, zur Rettung des Tourismus – das zweite wirtschaftliche Standbein neben der Fischerei – wurden die Grönländer dazu aufgefordert, ihr eigenes Land zu entdecken, denn Auslandstouristen kommen dieses Jahr nicht. Noch bis nächstes Jahr sollen manche Maßnahmen bestehenbleiben. Darunter ein Versammlungsverbot für Menschengruppen ab 100 Personen drinnen, 250 Personen draußen sowie das Verbot, Veranstaltungen in einer anderen der fünf grönländischen Kommunen zu besuchen. Letzterem ist dieses Jahr die grönländische Fußballmeisterschaft zum Opfer gefallen. Erstmals seit 1962 – als die regelmäßige Austragung einer Meisterschaft aus logistischen und organisatorischen Gründen noch eher ein Glücksfall war – wird es 2020 keinen Fußballmeister geben.

 

„Tritt zurück, Kim“

Auch die Wahl zum Parteivorsitz der Siumut konnte nicht stattfinden. Sie wurde auf September verschoben, soll dann aber ganz sicher stattfinden. Die Partii Naleraq hat ihre Wahl abgesagt. Man verstehe nicht, wie null aktive Coronafälle das Land zum kulturellen Stillstand bringen könnten, aber Kim Kielsen darf seine Wahl abhalten. Das gefällt der Opposition nicht. Und wenn ihr etwas nicht gefällt, dann sagt sie das. Und jetzt deutlich. Alle vier Oppositionsparteien waren sich einig. „Træd tilbage, Kim Kielsen!“ hieß es am 14. August in einem Offenen Brief von Inuit Ataqatigiit, Partii Naleraq, Atassut und Suleqatigiissitsisut/Samarbejdspartiet. Kim Kielsen hatte zu lange zu den Vorwürfen geschwiegen und ein Regierungschef muss Rede und Antwort stehen, hieß es von Múte B. Egede und Hans Enoksen, den Vorsitzenden von Inuit Ataqatigiit und Partii Naleraq.

Nach wenigen Stunden brach Kim Kielsen sein Schweigen: „Ich bleibe. Muss der Regierungschef wirklich zurücktreten, nur weil die Opposition das verlangt?“ Grönland ist wahrlich kein Paradebeispiel für politische Stabilität. Aber Kim bleibt. Schwer zu sagen, wie lange noch. Spätestens 2022 wird die Wahl ausgeschrieben. Oder morgen.